Abschied von gestern

von Eva Wißkirchen

Die große Stärke der Malerei Katrin Kampmanns ist ihre Mehrschichtigkeit. Zunächst einmal auf formaler Ebene: Die verschiedenen Schichten von Linolschnitten, Direktdrucken, geschütteten (neuerdings auch gesprayten Flecken) und schließlich figurativer Malerei sind für sich genommen schon reizvoll, und um wie vieles mehr erst im Zusammenspiel. Zum Beispiel beginnt Katrin Kampmann ihre Arbeit gern damit, mit Hilfe eines dicken Pinsels und stark verdünnten Acryls expressive Zeichnungen auf die Leinwand zu bringen. Diese erste Schicht ist beispielsweise noch zu erkennen in der rechten unteren Ecke von „Abschied von gestern“. Es wirkt wie ein unordentliches Zitat expressiver Malerei, das dann von den verschiedenen, sie überlagernden Drucken zur Ordnung gerufen wird. Es ist ein Spiel von an der langen Leine laufender Expressivität und dem Verlangen nach Kontrolle und Berechenbarkeit. Die Linoldrucke sind löchrig, schlierenhaft, unbestimmt organisch. Der Direktdruck wird konkreter eingesetzt: unter seiner Anwendung entstehen Regale, Computer, Laptops. Das Verfahren ist insbesondere deshalb spannend, weil es Katrin Kampmann zur Schnelligkeit zwingt. Farbe wird mit einem Pinsel auf einen Linolstück aufgebracht und direkt auf das Papier oder die Leinwand gedruckt, bevor die Farbe zu trocknen beginnt. Das bedeutet, dass die Malerin schnell und mit Geschicklichkeit festlegen muss, was das Wesentliche des Regals ist, sein Raster. „Geschicklichkeit bedeutet“, wie Clement Greenberg in seinem Aufsatz über Jackson Pollock ausführte: „Schwierigkeiten schnell und einfach zu lösen, um Kontrolle und Ordnung zu erreichen.“ Die Drucktechnik bringt jedoch einen letzen Rest erwünschter Unkontrollierbarkeit mit sich: Während die Farbe zwischen Linoleum und Leinwand zerquetscht wird, entstehen unvorhersehbare Formen, Strukturen und Risse innerhalb den von Kampmann vorgegebenen Farbflächen, die an fossile Pflanzenabdrücke erinnern. Diese paläobotanischen Reminiszenzen bilden einen anziehenden Kontrast zu den in der Realität so blank polierten Oberflächen der dargestellten Geräte. Formal bilden sie aber auch einen Kontrast zur nächsten Schicht, der Schicht der satten, glatten, glänzenden Flecken. Das eben schon beschriebene Moment der Unkontrollierbarkeit scheint hier noch unendlich viel größer zu sein. Das scheint jedoch nur so. Selbstverständlich sind nicht alle Faktoren, die zur konkreten Erscheinung des Flecks, dem So-Sein des Flecks führen, gänzlich kontrollierbar. Die Komponiertheit der Bilder und auch der Flecken offenbart jedoch in großer Klarheit die Geschicklichkeit, mit der Katrin Kampmann ihre Flecken zu lenken und zu ordnen weiß. Die einkalkulierten, aber nie exakt vorhersehbaren Spritzer, die bestimmte Flecken begleiten, dementieren das nicht; sie sorgen nur für größere Lebendigkeit. Soviel zu den schon aus älteren Kampmann-Bildern bekannten Flecken. In den aktuellen Arbeiten breitet sich jedoch eine neue Generation Flecken aus; es handelt sich um eine Art Klone. Kampmann stellt Schablonen von geschütteten Flecken her mit deren Hilfe sie neue, exakt vorhersehbare Flecken auf die Leinwand sprüht. Im Vergleich zu ihren halbwilden, halbdomestizierten Vorfahren haben diese Flecken etwas extrem Künstliches, Artifizielles. Sie stellen totale Kontrolle dar, Perfektion, die keiner Geschicklichkeit mehr bedarf und die beliebig wiederholbar ist. In „Abschied von gestern“ glitzern sie golden. Damit könnten sie der Inbegriff dessen sein, wonach sich Menschen heute sehnen: 

goldglänzende Kontrollierbarkeit. Auch die Figuren in Kampmanns Bildern haben etwas seltsam Sehnsüchtiges um sich, sie tanzen in schimmernden Pfützen (in „Abschied von gestern“), betrachten Abbildungen von Eisbären auf riesigen Weinflaschen, neigen sich vorSupermarktregalen einander zu („Einmal in welchem Jahr“). Mehr noch die abwesenden Personen, die sich (wie in „Crysanthemenpark“) vielleicht gerade vom Stuhl erhoben haben: ihre Computermonitore und Telefondisplays zeigen Urlaubsszenen oder Porträts, melancholisch nehmen sie „Abschied von gestern“. Dies ist nicht nur der Titel dieser Ausstellung und ihres größten Bildes, sondern auch der des ersten Langfilms von Alexander Kluge. In diesem Film heißt es: „Es trennt uns von gestern kein Abgrund, sondern nur die veränderte Lage.“ Genau dieser Umstand ist es, der Abschiednahme erst ermöglicht, denn Abschiednehmen verlangt nach einer Auseinandersetzung. Der Anita G. im Film misslingt diese Auseinandersetzung ebenso wie allen anderen Figuren; doch ist sie die einzige, die darunter leidet und damit hält sie den Schlüssel in der Hand. Da ihr dieses Leiden jedoch von allen anderen abgesprochen wird, befindet sie sich permanent auf der Flucht. In Kampmanns Bild wendet Anita G. dem Betrachter den Rücken zu. Die anderen Figuren im Bild scheinen sich so wenig für sie zu interessieren wie ihre Mitmenschen im Film. Was verbindet Anita G. mit den anderen? Vielleicht ist die Verbindung schlicht, dass die im Vordergrund sitzende Figur „Abschied von gestern“  auf ihrem Monitor betrachtet. Möglicherweise verbindet sie auch der Wunsch, Abschied zu nehmen, von dem die Sitzende vielleicht gerade dessen aktuelle Version aufführt: sie betrachtet ihre Vergangenheit auf dem Bildschirm. Die Figuren um sie herum wirken wie Schemen der Erinnerung, teilweise überlagert vom löchrigen Raster des Linoldrucks. Aber das Internet hält nicht nur Bilder von Personen bereit, die sich abgewandt haben, sondern auch von solchen, die sich einem nie zugewandt hatten. Die Selbstdarstellung auf Internetportalen wie MySpace, Facebook und anderen (insbesondere, wo sie rein privat genutzt wird) bietet die Möglichkeit sich auszudrücken, befriedigt vor allem aber den Wunsch nach Kontrollierbarkeit. Beides jedoch nur scheinbar, da die Kontrollierbarkeit über die Ausdrucksfähigkeit einen Zwang ausübt. Da jeder jeden jederzeit kontrollieren kann, fühlen sich alle genötigt, ein möglichst ereignisreiches und versagensarmes Leben zu präsentieren (nicht: zu führen). Das verhindert sowohl Ausdrucksfülle, also Expressivität, als auch Kontrolle, da die Informationen schließlich nicht glaubwürdig sind. Auch hier haben wir es, wie in Katrin Kampmanns Malerei, mit einem Spiel zwischen Expressivität und dem Verlangen nach Berechenbarkeit zu tun. Doch im Gegensatz zur hier gezeigten Malerei mit einem unbefriedigenden Ergebnis. Dies ist ein möglicher Gedanke von vielen. Katrin Kampmann drängt dem Betrachter keine bestimmt Ansicht oder gar Einsicht auf. Das bedeutet nicht, dass sie selbst keine hat. Vielmehr ist sie sich bewusst, dass nichts so eindimensional ist, dass es nur auf eine Weise betrachtet werden kann. Hat man wie ich die Möglichkeit, die Bilder der Künstlerin mehrmals zu betrachten, fällt auf, dass sie jedes Mal anders wirken, dass Neues auffällt oder andere Details wichtig sind. Katrin Kampmann schätzt es durchaus, wenn ihre Bilder dann zu Abschweifungen animieren, wenn sich der Gedanke bei der Versenkung in das Bild von dem Bild wegbewegt und ihm so viele Wege offen stehen.