Wenn Tag und Nacht dasselbe ist...

 ...wo Licht und Finsternis schnell und seltsam miteinander abwechselten... 

Bonaventura Nachtwachen

von Christian Malycha

Im Grunde ist die Malerei etwas Unfassbares, das mit Worten nicht beschrieben, sondern allein und immer wieder von Neuem umschrieben werden kann. Verwirrt steht man so vor Katrin Kampmanns Bildern, sieht, was auf ihnen geschieht und weiß gleichwohl nicht, womit man es zu tun hat. Manches erkennt man klar, anderes entzieht sich jeder Vorstellung. Und dennoch wird man von einer lustvollen Neugier erfasst, sich auf ihre Bilder einzulassen, die unmittelbar aus der weißen Leere der Leinwand aufzutauchen scheinen. Vollkommen malerisch prallen ausgedehnte Landschaftszüge mit vereinzelten Gestalten, Tieren oder anderen Dingen aufeinander. Kampmann streicht diese derart gegeneinander, dass sie in ungezählte Flecken zerbersten, oder aber sie schwemmt jegliches Kontur mit flüssigen Abläufen auf, so dass ihre Motive in flächigen Lasuren ineinander übergehen und zu farbig bewegten Massen zerfließen. Die weißen Leinwände sind nicht bloß mit Farbe bedeckt. Die tragenden Bildgründe werden durchtränkt und damit selbst Teil der Farbe. Unentwegt strahlt und scheint es aus diesen tiefen Farbgründen. Die Farbe ist Kampmanns eigentliches Bildmaterial, das sämtliches Geschehen umfängt und in sich bettet. Ohne räumliche Perspektive oder konstruktive Gerüste vertraut sie ihr und lässt sich sogar bei ungewissem Ausgang von Farbverläufen und Pinselzügen hin- und mitreißen. Ihre Motive kommen überhaupt erst aus der Farbe zu Gestalt und Erscheinung.(1) Auf wenn tag und nacht dasselbe ist öffnet sich eine von Bäumen hinterfangene Lichtung, auf der sich ein junges Paar niedergelassen hat. Gelöst schmiegt sich die liegende Frau an ihren Begleiter. Ein einfaches Motiv, das sich nicht recht zum Titel fügen will. In Anbetracht des aufgeprägten Landschaftsprospektes, der das Bild als dichte Farbfassade in hellem Grüngrau verschließt, schweifen die Gedanken ab. Es lässt sich nicht erkennen, ob um die beiden herum der Morgen graut oder es vielleicht dämmert. Doch auf diese bewusst herbei geführte Unaufmerksamkeit kommt es Kampmann an: Wie das An- und Abschwellen der Farbkontraste treibt auch der Blick umher und mit einem Mal lichtet sich das offene Bildfeld wie von selbst. Es wird zu einem sonderbaren Unort, an dem Figuren, Landschaft und Gegenstände in der Farbe in eins gehen. Gerade darin ähnelt das Bild der geheimnisumwobenen Tag- und Nachtscheide. Wie diese steht es aus der alltäglich verrinnenden Zeit heraus. Bald heben sich die Figuren von den farbigen Gründen ab, bald vergehen sie in ihnen. In gleichmäßiger Behandlung tauschen sie ihre Rollen, treten vor und wieder zurück. Kampmann zerschichtet oder entfiguriert ihre Motive (2), nur um sie im selben Zuge wieder zu versammeln. In dieser stets präsenten Schwebe offenbart sich nun das Innerste ihrer Bilder und man selbst sieht in simultaner Schau plötzlich in Flecken und in Gestalten. In beiläufigem Gestus gibt sich die lore lay mit gleißend weißer Haut, sinnlich aufgestrichenem Augenaufschlag und vollmundig getupften Lippen: Ein abgründig verführerisches Bild. Die junge Frau in knappem Kleid hockt wahrscheinlich auf derselben Lichtung wie zuvor, da Kampmann die Bildanlagen mitunter wiederaufnimmt. Ihre sirenenhaften Verlockungen sind schillernd vorgetragen und die vielfarbigen Akzente im Blattwerk dieser “allseitig offenen Sphäre eines Glanzraums“ (3) flimmern oder blitzen aufgeregt wie Reflexe im Gegenlicht. Von ganz anderem Temperament ist wie war dein herz mir gut, das ruhig erstrahlt und wie die Frau auf dem Abhang abzuwarten scheint. Das Kolorit mag überwiegend ein gefasstes Rosa sein, die Malerei aber gibt sich spannungsvoll geladen und 

abschüssig. Ließ Kampmann in lore lay Grund und Figur einander umspielen und steigern, so driften sie hier in wuchtiger Torsion auseinander. Mal sind die Bilder sanft und schmeichelhaft, dann wieder rutschig und tückisch. Die beiden Frauen auf in milden heiteren tagen geben sich in der hell aufgezogenen Bildlandschaft äußerst ausgelassen. Ganz bei sich sind sie auf die Knie gesunken und gehen völlig auf in schwelgender Betrachtung. Fast so als blickten sie dem Zerfließen des eigenen Spiegelbildes in vorbeiziehendem Wasser nach. Das ganze Bild ist im Fluss. Diagonal hingestrichene Farbgirlanden umspülen die beiden mit sanften Wellen, in derer Mitte Kleid und Bluseals blumige Insel aufblühen. Umsichtig nimmt Kampmann die Härte des Weiß’ zurück und zerstreut einzelne, sparsam rhythmisierte Flecken. in milden heiteren tagen ist ein fortwährend gleitendes, ein suggestives und leicht schwüles Bild. Dunstig wie ein Hauch kondensiert die Farbe auf der Leinwand, steht nunmehr samtig beschlagen vor Augen. Oftmals handelt es sich bei Kampmanns Figuren um enge Freunde, die sie aus selbst aufgenommenen Fotografien in ihre Bilder holt. Ein Antlitz oder Gesicht mag aufgebrochen oder harsch zerstrichen sein, diese ‚verschleierten’ Porträts bilden dennoch wichtige Haltepunkte. Sie bewahren den eigenen Blick auf die Welt und verbinden persönliche Erfahrungen mit der im Malakt erfahrenen Welt der Farbe. Wie amüsiert, grotesk und absurd solche Porträts ausfallen können, zeigen die vier Stilleben meine schuhe: Allem Anschein nach achtlos in unbestimmtem Nirgendwo stehen- und liegengelassene Stiefel, Ballerinas und Sandalen. Auf viel weißer Fläche halten sie sich primärkontrastig zwischen Rot, starken Gelb und Blau, aber auch komplementär zwischen Grün, Orange, Violett und Rosa. Als bloße Schuhe sind sie doch mit größter Aufmerksamkeit ermalt. Wie undeutbare Blumen oder farbiges Gestein wecken sie Begehrlichkeiten und sind als die ‚Schuhe der Malerin’ intime Selbstporträts. Kampmanns Schuhporträts sind getragen von der Begeisterung, jedes noch so unscheinbare Ding, jede Gestalt malerisch wirken zu lassen: Alles verkündet lebensgroß das “Wunder [...], daß der ästhetische Gegenstand ganz und gar in seiner phänomenalen Oberfläche ist“ (4). Aus dem malerischen Unterholz auf  wenn die blätter rauschen etwa blickt dem Betrachter ein zerfleckter Affe entgegen. Von Kampmann in einem farbigen Rausch angelegt, gibt es hier einzig schwebende Farb- und Formintervalle: Das Bild blättert in Getropfe und Flecken, arabesken Ranken und Schlieren auf. Die Farben kräuseln sich und strudeln wie verwehende oder luftige Blätter. Der Bildraum lockert sich, für Augenblicke ist alles Farbe und unmittelbar darauf – erneut auf’s Motiv gestoßen – blickt man ebenso erschrocken drein wie der bange Affe. Dem dalmatiner ergeht es ähnlich. Eigentlich ist er gar nicht da, sondern es gibt nur pulsierende Flecken, die ihn durch das aufgebauschte Farbgewirbel spazieren führen. Ganz so wie der Betrachter auf reisen durch ein Meer aus Farben geschickt wird. Wie der kleine, leicht aus der Bildmitte gerückte Dampfer in blau sprühender Gischt wogende Farblachen und klaffende Schwärze umschifft, gleitet der Blick agil durch gewagt schaukelnde und schaumig aufgeschlagene Bilder, die wild und tosend, aber auch still und andächtig vor Augen stehen. Im vollen Vertrauen auf ihre Farbe fordert Katrin Kampmann den Betrachter mit ihren Bildern abenteuerlustig heraus. Weiß sie bei diesem darüber hinaus doch stets, dass “outside of it is the outer world, inside of it, the world of the artist” (5).

 

Anmerkungen

(1) Siehe dazu Kenneth Noland, zitiert nach Philip Leider ’The Thing in Painting is Color’, in “The New York Times”, New York 25. August 1968, S. 21-22: “The thing is color, the thing in painting is to find a way to get color down, to float it [./.]. It’s all color and surface, that’s all.”

(2) Dazu etwa Harold Rosenberg ’The American Action Painters’, in “The Tradition of the New”, New York 1961, S. 26: “what counts is [...] extinguishing the object”.

(3) Ernst Strauss ’Zu den Anfängen des Helldunkel’, in “Koloritgeschichtliche Untersuchungen zur Malerei seit Giotto“, München 1972, S. 33.

(4) Oskar Becker ’Von der Hinfälligkeit des Schönen und der Abenteuerlichkeit des Künstlers’, in “Dasein und Dawesen. Gesammelte philosophische Aufsätze“, Pfullingen 1963, S. 21.

(5) Hans Hofmann ‘The Search for the Real in the visual Arts’, in Sam Hunter “Hans Hofmann“, New York 1964, S. 40.